LernVision EBK – Ein Aufbruch zu einem neuen Erzbischöflichen Berufskolleg Köln

„(…) Ich bin gefühlt drei Meter gewachsen – und die Schule nicht mit mir mit.“
Evgenija Kosov

Mit diesen bewegenden Worten beendete die Poetry-Slammerin Evgenija Kosov ihren Poetry Slam am Morgen des 20. November 2024. Worte, die nicht nur einen emotionalen Ton setzten, sondern sinnbildlich für das standen, was das Erzbischöfliche Berufskolleg Köln (EBK) an diesem Tag ins Rollen brachte: einen echten Wandel. Die „LernVision EBK: Selbstständig, agil, digital – Verantwortungsvoll in die Zukunft“ ist keine bloße Schulentwicklungsmaßnahme – sie ist ein mutiger Aufbruch in eine komplett neue schulische Realität. Eine Schule, die nicht länger an überkommenen Konzepten festhält, sondern sich dem Lernen von morgen verpflichtet. Eine Schule, die bereit ist, mit ihren Schülerinnen, Schülern und Studierenden gemeinsam zu wachsen.

Die Idee: Schule neu denken – gemeinsam, kreativ und verantwortlich

„Die Frage ist nicht mehr, ob wir uns verändern – sondern wie“, betonte Schulleiter Carsten Arntz in seiner Begrüßung. Gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Kathrin Wichmann hatte er zu einem besonderen Tag eingeladen: einem pädagogischen Visionstag, der auf kreative Partizipation statt auf Konferenzroutine setzte. „Wir wollten bewusst einen Rahmen schaffen, in dem sich Kollegium und Schülerschaft gemeinsam als Lernarchitektinnen und -architekten erleben – nicht als Umsetzer fremder Pläne, sondern als Gestalter einer eigenen, gemeinsamen Zukunft“, so Wichmann.

Die Idee war mutig und ambitioniert: weg von frontaler Inputvermittlung, hin zu einem dialogischen, offenen Format. Unterstützt wurde der Tag von einem erfahrenen, externen Team: Der Sozialpädagoge Tristan Steinberger moderierte, Graphic Recorder Pavo Ivković visualisierte die neuentstandenen Ideen live auf einer großflächigen Tafel, die später als Bilddokument die Ergebnisse des Tages festhielt.

Poetischer Auftakt: Schule als Erinnerungsraum – und als Sehnsuchtsort

Der Tag begann mit einem literarischen und emotionalen Impuls: Evgenija Kosov, hauptberuflich erfolgreiche Poetry Slammerin, nahm die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit auf eine Zeitreise in ihre eigene Schulzeit. Ihr Text, zwischen poetischer Reflexion und kritischem Nachdenken, ließ die Vielschichtigkeit schulischer Erfahrung lebendig werden: „Ich habe gelernt, dass Noten tatsächlich besser werden, wenn ich mir Mühe gebe; ich habe gelernt, mein Bestes zu geben und zu akzeptieren, wenn ich es doch nicht tat; ich habe gelernt für mich einzustehen, vor Lehrer/innen, die mir auch zugehört haben; ich habe gelernt und gelernt und gelernt und gelernt, damals noch, unwissend darüber, dass ich das Meiste über mich lernte.“ Kosovs Worte zeichneten ein Bild von Schule als prägendem Lebensraum – mit all ihren Höhen und Tiefen. Sie endete mit der zentralen Erkenntnis: Während sie gewachsen sei, sei die Schule gleichgeblieben. Das sei heute nicht mehr genug.

Evgenija Kosov während ihres Poetry Slams

Expertenrunde: Schulen im Wandel – Erfahrungen aus der Praxis

Im Anschluss diskutierten in einer hochkarätig besetzten Podiumsrunde erfahrene Schulleiter aus Nordrhein-Westfalen über ihre Transformationsprozesse. Michael Niess (BBS Westerburg), Rainer Devantié (Laborschule Bielefeld) und Dr. Christian Weingarten (Umweltbeauftragter in der Abteilung Schöpfungsverantwortung des Erzbistums Köln) gewährten Einblicke in das, was bereits an anderen Schulen erfolgreich gelingt – und was auch am EBK möglich sein kann.

Tristan Steinberger eröffnete den Visionstag mit den folgenden Worten: „Vielleicht hat der eine oder die andere mitbekommen, dass die Robert Bosch Stiftung heute das aktuelle Schulbarometer veröffentlicht hat. Da tauchen Sätze auf, wie ‚es braucht ein neues Verständnis von Unterricht‘ oder ‚der Lernprozess muss in den Mittelpunkt‘.“ Schule ist mehr als ein Ort der Wissensvermittlung – sie ist ein sozialer Raum, in dem Beziehungen, Verantwortung und Lernfreude in Einklang gebracht werden müssen. Der Visionstag am EBK sei notwendig, so Steinberger, weil Veränderung in der heutigen Bildungslandschaft nicht mehr eine Frage des Wollens, sondern des Müssens sei. „Innovation bedeutet nicht, alles anders zu machen. Es bedeutet, das Gute zu bewahren – und gleichzeitig offen zu sein für das, was sich verändern darf.“ In Zeiten, in denen sich die Anforderungen an Schulen rasant wandeln, braucht es Momente des Innehaltens, des gemeinsamen Reflektierens und des mutigen Entwerfens neuer Wege. Dann leitete er über zum Expertentalk.

Tristan Steinberger bei seiner Begrüßung des Kollegiums und der Schülerschaft zum Visionstag.

Die Expertenrunde: (v.l.n.r.) Tristan Steinberger, Rainer Devantié, Michael Niess, Dr. Christian Weingarten

Tristan Steinberger

Michael Niess berichtete, wie die BBS Westerburg durch bauliche Veränderungen zu neuen pädagogischen Konzepten fand. „Wir haben unsere Klassenräume geöffnet, das Stundenraster aufgelöst und den Gong abgeschafft“, erklärte er. Heute arbeiten dort Lehrerinnen und Lehrer in Teams, planen Lernprozesse gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern und setzen auf Eigenverantwortung statt Kontrolle. „Unser Ziel ist nicht die perfekte Wissensvermittlung – sondern die Entwicklung von Kompetenzen für eine Welt, die sich ständig wandelt.“

„Unser Job ist es nicht mehr, inhaltlich zu qualifizieren, sondern Rüstzeug mitzugeben, wie lebenslanges Lernen gelingen kann.“
– Michael Niess

Michael Niess

Rainer Devantié von der Laborschule Bielefeld sprach über Räume, Regeln und Rituale. „Großräume verändern das Lernen grundlegend“, so Devantié. „Sie zwingen uns dazu, Unterricht neu zu denken – nicht als Frontalveranstaltung, sondern als dialogischen, individuellen Prozess.“ In seiner Schule gehe es nicht nur um Lerninhalte, sondern um Beziehung, Vertrauen, Selbstverantwortung. „Unsere Schülerinnen und Schüler erleben Schule nicht als Zwang, sondern als Einladung.“

„Bei uns wird angstfrei gelernt. Wer Angst hat, weiß, dass er sich an jemanden wenden kann. Beziehung ist das Fundament.“
– Rainer Devantié

Rainer Devantié

Dr. Christian Weingarten brachte schließlich das Thema „Nachhaltigkeit“ ins Spiel. „Bildung ohne Schöpfungsverantwortung ist unvollständig“, sagte er. Nachhaltigkeit sei kein Zusatzthema, sondern müsse als Haltung in allen schulischen Bereichen mitgedacht werden – vom Gebäude über das Lernmaterial bis hin zur pädagogischen Grundausrichtung. „Nachhaltigkeit ist kein Projekt, sondern ein Denkprinzip“, so Weingarten.

„Nachhaltigkeit muss raus aus der politischen Ecke – und rein in die Verantwortung aller. Es ist ein Thema für die gesamte Gesellschaft.“
– Dr. Christian Weingarten

Dr. Christian Weingarten

Auch das Kollegium konnte währen der Podiumsdiskussion direkte Fragen an die Teilnehmer via Mentimeter stellen.

Das Organisationsteam und die Gäste des Visionstages: (v.l.n.r.) Graphic Recorder Pavo Ivković, Prof. Dr. Michael Obermaier (Mitglied Steuergruppe), Tristan Steinberger (Moderation), Michael Nies (Schulleiter BBS Westerburg), Annekatrin Rauen (Mitglied Steuergruppe), Carsten Arntz (Schulleiter EBK), Magdalena Sauer (Mitglied Steuergruppe), Rainer Devantié (Schulleiter Laborschule Bielefeld), Dr. Christian Weingarten (Umweltbeauftragter in der Abteilung Schöpfungsverantwortung des Erzbistums Köln), Kathrin Wichmann (stellvertretende Schulleiterin EBK).

Die Zukunftswerkstatt: Visionen entwerfen, Räume gestalten, Lernen ermöglichen

Nach dem Expertengespräch begann vor dem kreativen Hauptteil des Tages, der Zukunftswerkstatt, noch eine halbstündige Sensibilisierung mit vorbereiteten Audiorückmeldungen der Schülerschaft, wie diese sich Lernen vorstellen. Dies Informationen dienten als Grundlage für den Austausch an mehreren thematisch unterschiedlichen Stehtischen (mit Hilfsfragen). Dort wurde auf festgehalten, was wir Gutes an der Schule bewahren möchten (grüne PostIts) und was nicht (rote PostIts). Dann wurde in der Zukunftswerkstatt gemeinsam gearbeitet, gedacht und entwickelt. In fünf thematischen Gruppen – bestehend aus Lehrkräften, Schüler/innen und Studierende und den externen Gästen – wurde die Frage verhandelt: „Wie sieht das Lernen der Zukunft am EBK aus?“ Der Fokus dabei lag auf der Entwicklung konkreter Visionen, aber auch auf der Umsetzung im Schulalltag.

Per QR-Code konnte man sich an jedem Stehtisch Audiodateien anhören, wie sich die Schülerschaft des EBKs besseres Lernen vorstellt.

Das Kollegium des EBKs in der Austauschphase.

Die Ergebniswand: Was soll bewahrt werden, was sollte verbessert werden, was kann weggelassen werden? Zur Vergrößerung klicken Sie bitte HIER.

Zentrale Themen waren unter anderem:

  • Die architektonische Gestaltung von Lernräumen inspiriert durch Beispiele wie der Laborschule oder der Helios Schule.
  • Neue, zukunftsweisende Prüfungsformate, die nicht mehr primär auf Reproduktion, sondern auf Anwendung, Reflexion und Projektarbeit setzen.
  • Selbstgesteuertes Lernen, das Lernende befähigt, Verantwortung für ihren Lernprozess zu übernehmen.
  • Digitale Tools und hybride Lernsettings, die flexibles, ortsunabhängiges Arbeiten ermöglichen.
  • Partizipation und Mitbestimmung, um Schule nicht nur für, sondern mit Schüler/innen und Studierenden zu gestalten.

Besonders innovativ war die Idee, mit Symbolen und Piktogrammen Grundrisse der Schule zu bearbeiten – eine Art „Design Thinking“-Ansatz, der das kreative Potenzial der Teilnehmenden visuell sichtbar machte. Hier entstand nicht nur Kritik, sondern vor allem Inspiration, die neue „Architektur“ des Erzbischöflichen Berufskollegs Köln. Der Lernort Schule wurde als wandelbarer Raum gedacht und als Möglichkeitsraum für neue Bildung verstanden.

Die Neugestaltung der „Innenarchitektur der Schule“ während der Zukunftswerksatt.

Auch die Schülerschaft war sehr engagiert bei der Entwicklung Ihrer neuen Schule.

Die Austauschphase mit Rainer Devantié (Schulleiter Laborschule Bielefeld).

Die Ergebnisse der einzelenen Zukunftswerkstätten übersichtlich in Taskcards dokumentiert. Zur Vergrößerung klicken Sie HIER!

Visuelle Dokumentation: Das Bild der Vision

Parallel zur inhaltlichen Arbeit dokumentierte Graphic Recorder Pavo Ivković die Impulse des Tages in einem über drei Meter breiten Wandbild. Es zeigte Szenen aus dem Poetry Slam, zentrale Aussagen der Podiumsdiskussion, Schlüsselbegriffe der Zukunftswerkstatt – und war selbst Ausdruck einer neuen Form schulischer Kultur: dialogisch, offen, ästhetisch, kollaborativ. Auf einem Tablet erhielt er live Informationen aus den unterschiedlichen Zukunftswerkstätten, sodass auch nicht die kleinste Idee des kreativen Gesamtprozesses übersehen wurde.

Am Ende des Tages wurde dieses Bild präsentiert – und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren eingeladen, sich darin wiederzufinden. „Dieses Bild“, so Ivković, „ist nicht nur ein Kunstwerk. Es ist ein lebendiger Ausdruck dessen, was heute gedacht, gesagt, geteilt wurde. Es kann Ankerpunkt und Ausgangspunkt für alles sein, was jetzt kommt.“

Impulse und Evaluation: Vom Denken zum Handeln

Abgeschlossen wurde der Tag durch kurze Impulsstatements der Steuerungsgruppe für Schulentwicklung, die den Tag akribisch geplant hatte, die als Auftrag verstanden werden können: Die „LernVision EBK“ soll weitergetragen, konkretisiert und fest im Schulalltag verankert werden. Erste Arbeitsgruppen wurden geplant und eine digitale Plattform zur Weiterarbeit vorbereitet. Das Bild des Graphic Recorders wird dauerhaft im Schulgebäude ausgestellt – als Erinnerung, als Anstoß und ständiger Impuls.

Fazit: Eine Schule in Bewegung

Der Visionstag am EBK war kein gewöhnlicher Konferenztag. Es war ein Tag des Aufbruchs, ein Meilenstein. Ein Tag, an dem sichtbar wurde, dass unser Berufskolleg nicht nur Ort der Vermittlung, sondern auch Ort der Gestaltung sein kann. Eine Erinnerung daran, dass Veränderung möglich ist, wenn sie partizipativ, kreativ und verantwortungsvoll geschieht.

„Ich habe Platz für eure Ideen geschaffen“, sagte Graphic Recorder Pavo Ivković zu Beginn. Dieser Platz wurde genutzt. Und mit Leben gefüllt. Die Schule hat begonnen, sich zu verändern – nicht durch Vorgaben von außen, sondern durch die Ideen von innen. Durch das, was Lehrer/innen, Schüler/innen, Studierende und die Schulleitung gemeinsam möglich machen.

Und so bleibt von diesem Tag nicht nur ein Bild an der Wand. Sondern ein neues, individuelles Selbstverständnis des Lernens: Schule ist ein Ort des Werdens. Und das EBK ist auf dem Weg dahin.

Das Endergebnis eines äußerst produktiven Tages: Die LernVision EBK als Graphic Recording. Zur Vergrößerung klicken Sie bitte HIER.



Von der Vision zur Mission – Die erweiterte Schulleitung tagt in Bensberg

Am 31. Januar und 1. Februar 2025 zog sich die erweiterte Schulleitung des EBK ins Kardinal-Schulte-Tagungshaus in Bensberg zurück, um den nächsten entscheidenden Schritt in Richtung Schultransformation zu beschreiten. Ziel war es, die vielfältigen Ergebnisse des Visionstags zu bündeln, gemeinsame Begriffe zu schärfen und einen verbindlichen Minimalkonsens zu formulieren, der den Startpunkt für die praktische Umsetzung der „LernVision EBK“ bildet.

Unter dem Leitsatz „Bewahren – Innovieren – Optimieren“ wurde intensiv diskutiert, gesammelt, strukturiert und priorisiert. Die Arbeitsweise war bewusst offen, dialogisch und prozessorientiert – getreu dem Bild der Reisebegleitung, das dem Tag zugrunde lag: keine vorgefertigte Route, sondern ein gemeinsames Navigieren durch unbekanntes Terrain.

Am Ende standen vier zentrale Vereinbarungen, auf die sich die erweiterte Schulleitung einvernehmlich einigte. Sie bilden den Minimalkonsens der „LernVision EBK“:

1. Verantwortetes Lernen

Das zentrale Leitbild des pädagogischen Handelns am EBK ist künftig das „verantwortete Lernen“. Es versteht sich als eine Weiterentwicklung selbstorganisierten Lernens und verknüpft persönliche Selbststeuerung mit kritischer Reflexion, sozialer und ökologischer Verantwortung. Lernende übernehmen aktiv Verantwortung für ihren Bildungsprozess – in einem unterstützenden, kooperativen Rahmen, der von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist. Lehrkräfte begleiten diesen Prozess nicht als reine Wissensvermittler, sondern als Lernmoderator/innen.

2. Zeitliche Schienung von Unterricht

Künftig wird es für alle Bildungsgänge eine „zeitliche Schienung“ geben – also eine koordinierte, parallele Taktung des Unterrichts zwischen verschiedenen Klassen und Kursen. Ziel ist es, parallele Lernzeiten zu schaffen, in denen individualisiertes und verantwortetes Lernen verstärkt stattfinden kann. Dieses Modell ermöglicht Lernzeitfenster, projektbasiertes Arbeiten sowie effektive Nutzung gemeinsamer Ressourcen – sowohl im beruflichen als auch im studienbezogenen Bereich.

3. Arbeiten in Teams und Tandems

Ein weiteres zentrales Element der Transformation ist die Stärkung der Teamarbeit. Lehrkräfte sollen verstärkt in den studienbezogenen Bildungsgängen in „Teams“ und in den berufsbezogenen Bildungsgängen in „Tandems“ zusammenarbeiten – sowohl bei der Planung als auch bei der Durchführung des Unterrichts. Dies ermöglicht eine engere Verzahnung von Fachinhalten, eine kollegiale Unterstützung sowie die Entstehung einer neuen gemeinsamen Verantwortungskultur. Besonders in den Leistungskursen im Beruflichen Gymnasium sind Teamstunden geplant, in denen Lehrkräfte gleichzeitig die Lernprozesse begleiten.

4. Gemeinsame Moodle-Ordner und digitale Synergien

Zur Unterstützung des neuen Lernkonzepts wird die schulweite Nutzung gemeinsamer Moodle-Kurse etabliert. Alle Lehrkräfte eines Faches oder Lernfeldes arbeiten künftig mit identischen digitalen Kursstrukturen. Diese Maßnahme spart Ressourcen, schafft Transparenz und fördert die Zusammenarbeit im Kollegium. Gleichzeitig ermöglicht sie es den Schüler/innen und Studierenden, sich eigenständig in strukturierte digitale Lernangebote einzuarbeiten.

Ein gemeinsamer Weg – mit klarer Richtung

Die Klausurtagung in Bensberg war kein Endpunkt, sondern ein entscheidender Meilenstein auf dem Weg zu einer zukunftsorientierten Schule. Mit dem formulierten Minimalkonsens schafft das EBK eine gemeinsame Grundlage für alle Bildungsgänge – und damit die Voraussetzungen für eine neue Lernkultur, die auf Verantwortung, Kooperation und Innovation setzt.

„Veränderung entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch den Mut, neue Wege zu gehen.“
– Abschlussimpuls der Tagung

Die erweiterte Schulleitung des EBKs bei der Tagung in Bensberg: (v.l.n.r.) Carsten Arntz, Carmen Bisseling, Dr. Michaela Thissen, Christoph Lowis, Magdalena Sauer, Nadine Röthig-Heß, Birgit Hochmann, Birgit van Elten, Nils Bröring, Kathrin Wichmann, Suse Kunz, Vera Holly, Julia Dahmen, Prof. Dr. Michael Obermaier.



LernVision EBK – Die Ergebnisse der Bensberger Tagung werden dem Kollegium vorgestellt

Am 19. Februar 2025 versammelte sich das gesamte Kollegium des Erzbischöflichen Berufskollegs Köln zu einer weiteren Lehrerkonferenz. Dort wurden dem Kollegium die Ergebnisse der Klausurtagung der erweiterten Schulleitung im Kardinal-Schulte-Tagungshaus vorgestellt.

„Wir haben als erweiterte Schulleitung für unsere Schule – auf der Basis der Ergebnisse vom Visionstag – die Statik und das Fundament von Lernen festgelegt“, sagte Schulleiter Carsten Arntz in seiner Eröffnungsrede, „aber die Innenarchitektur – das, was Schule lebendig macht – gestalten wir nun gemeinsam.“ Damit wurde deutlich: Die in Bensberg weiterentwickelte „LernVision EBK“ soll kein fertiges Konzept sein, das übergestülpt wird, sondern ein gemeinschaftlich weiterzuentwickelnder Weg der ganzen Schulgemeinschaft.

Schulleiter Carsten Arntz bei seiner Eröffnungsrede.

Arntz bedankt sich bei der erweiterten Schulleitung für die hervorragende Arbeit, die während der Tagung in Bensberg geleistet wurde.

Die stellvertretende Schulleiterin, Kathrin Wichmann, bei der Erläutung der verschiedenen Bereiche, die bei der Erstellung des Minimalkonsens eine wichtige Rolle gespielt haben.

Warum eine LernVision?

Arntz nannte drei wesentliche Gründe für diesen Transformationsprozess:

  • Wissenschaftliche Erkenntnisse: Neue Studien der Bildungsforschung, Hirnforschung und Lernpsychologie machen deutlich, dass sich Lernen tiefgreifend verändert hat – durch Digitalisierung, KI, gesellschaftlichen Wandel und die Anforderungen an nachhaltige Bildung.
  • Rückmeldungen der Schülerschaft: Die Generation Z wünscht sich mehr Selbstbestimmung, Sinn und Verantwortung im Lernprozess – wie es auch die Hurrelmann-Jugendstudie 2024 und die EVA-Schulumfrage am EBK 2024 bestätigen.
  • Rückmeldungen aus dem Kollegium und der Qualitätsanalyse 2024: Viele Lehrkräfte sehen im projektbasierten und forschenden Lernen neue Wege, um Schüler/innen und Studierenden zu erreichen – und die Qualitätsanalyse 2024 am EBK forderte ausdrücklich eine „vertiefte, gemeinsame Umsetzung selbstständigen Lernens in allen Bildungsgängen.“

Ein Prozess, kein Projekt

In seiner Rede betonte Schulleiter Arntz: „Veränderung heißt nicht, einen Reset-Knopf zu drücken und alles Gewesene zu löschen, sondern zu erkennen, was stark ist – und wo noch Arbeit notwendig ist.“ Veränderung soll gelingen, ohne das Bewährte aufzugeben, aber mit Mut zu neuen Wegen.

Der Impuls der Tagung wurde an diesem Tag nicht nur vorgestellt, sondern auch gefeiert: mit Respekt für das Geleistete und mit Energie für das, was noch kommt. Der Applaus galt dabei besonders den Kolleginnen und Kollegen der erweiterten Schulleitung, die diesen Prozess mitgetragen und gestaltet haben.

Bildungsgangleiter Nils Bröring bei der Erläuterung zum „verantworteten Lernen“.

Digitalisierungsbeauftragte Magdalena Sauer bei ihrer Erläuterung zum neuen Lehrverständnis am EBK..

Bildungsgangleiterin Nadine Röthig-Heß (rechts) und Bildungsgangleiterin Julia Dahmen (links) bei ihrem vertieften Einblick in das „verantwortete Lernen“.

„Wenn man weiß, dass man nicht allein, sondern zusammen unterwegs ist, dann lassen sich auch so manche Herausforderungen in der Schule und im Alltag meistern.“
– Frau Dr. Schwarz-Boenneke (ehemalige Hauptabteilungsleiterin im Erzbistum Köln bei der Ernennung von Carsten Arntz als neuer Schulleiter des EBK am 11.08.2022)


Die LernVision EBK geht in die Umsetzung – Informationen für alle Lernenden

Am Mittwoch, 02. Juli 2025, versammelte sich die gesamte Schulgemeinschaft des Erzbischöflichen Berufskollegs Köln im Atrium, um gemeinsam einen neuen, zukunftsweisenden Abschnitt des schulischen Lebens ab dem Schuljahr 2025/2026 zu eröffnen. Die Schulleitung stellte der Schülerschaft in einer feierlichen Ansprache die LernVision EBK vor – ein umfassendes Konzept für „verantwortetes Lernen“, das ab dem kommenden Schuljahr das Leitbild schulischer Arbeit am EBK prägen wird. Damit markiert die Schule einen bewussten Neuanfang, der nicht nur strukturelle Veränderungen mit sich bringt, sondern vor allem eine neue Haltung zum Lernen etablieren will.

Bereits im November des vergangenen Jahres hatte ein schulweiter Visionstag den Auftakt zu diesem Prozess gegeben. Nun wird aus der damaligen Idee gelebte Realität. Im Zentrum der neuen LernVision steht das verantwortete Lernen. Anders als bei herkömmlich verstandener Selbststeuerung liegt die Verantwortung hier nicht allein bei den Lernenden. Vielmehr wird sie partnerschaftlich getragen – von Schülerinnen und Schülern, Studierenden, Lehrerinnen und Lehrern. Lernen wird als dialogischer Prozess verstanden, der auf drei Ebenen wirkt: im Ich, im Du und im Wir. Die Lernenden sollen einerseits ihr eigenes Lernen bewusst gestalten, andererseits in Beziehung treten und Verantwortung für ihre Umwelt übernehmen. Bildung, so die Botschaft der Rede, soll nicht nur Wissen vermitteln, sondern Haltungen formen – mit christlicher Prägung, demokratischem Anspruch und Blick auf die Zukunft.

Konkret bedeutet das für die Schülerschaft: neue Freiräume, neue Strukturen, neue Werkzeuge. So werden etwa die Klassenräume ab dem Morgen durchgängig zugänglich sein, eine Kernlernzeit zwischen 8:15 und 15:15 Uhr schafft verbindliche und offene Zeitfenster für vertieftes Arbeiten. In den kommenden Monaten entsteht ein digitaler MakerSpace, die Lernzonen werden schrittweise in offene, inspirierende Lernumgebungen umgewandelt. Besonders in den studienbezogenen Bildungsgängen wird der Stundenplan neu gedacht: Leistungs- und Grundkurse sowie die Profilfächer werden parallel geführt, thematische Verknüpfungen gefördert und Zeiträume (sogennannte „Lernzeiten“) für individuelles Lernen freigehalten. Auch in der Fachschule für Sozialpädagogik greift die Vision tief: Dort sind Lernsituationen konsequent auf reale berufliche Handlungskompetenzen ausgerichtet – ganz im Sinne eines Lernen durch Tun, Reflektieren und Verstehen.

Zur Umsetzung dieser Vision führt die Schule drei zentrale methodische Instrumente ein. Das „Logbuch“ wird zum persönlichen Lernjournal jedes Einzelnen – ein Ort, an dem Lernwege dokumentiert, Erfolge sichtbar und Herausforderungen reflektiert werden. Die „Kann-Listen“ definieren transparente Kompetenzerwartungen, die Lernenden Orientierung bieten. Gemeinsame Moodle-Kurse in zentralen Fächern bündeln Materialien, Aufgabenformate und Reflexionshilfen, um kooperatives Lernen über Klassengrenzen hinweg zu ermöglichen. Ergänzend dazu startet das Schuljahr für alle neuen Unterstufen mit dem „EBK-Kompass“, einem mehrtägigen Orientierungsprogramm, das Grundlagen verantworteten Lernens vermittelt.

Die Rolle der Lehrkräfte wird sich in diesem Kontext nicht auflösen, sondern neu definieren. Als dialogische Lernbegleiterinnen und -begleiter nehmen sie eine doppelte Funktion ein: Sie setzen klare inhaltliche Rahmen, ermöglichen zugleich aber Freiräume zum Denken, Forschen, Gestalten und Entscheiden. Der klassische Frontalunterricht wird ergänzt – nicht ersetzt – durch einen ko-konstruktiven Ansatz, in dem Beziehung, Beteiligung und Reflexion im Vordergrund stehen.

Die LernVision ist dabei kein abgeschlossenes Projekt mit einem festen Endpunkt, sondern ein langfristiger Entwicklungsprozess, der kontinuierlich wachsen, sich hinterfragen und verändern darf. Die Schulleitung machte deutlich, dass auf diesem Weg auch Unsicherheiten und Reibung dazugehören – denn wo Neues entsteht, da braucht es Mut, Geduld und Vertrauen. Der Geist dieser Rede war getragen von der Überzeugung, dass Lernen nur dann gelingen kann, wenn es bedeutsam, partizipativ und zukunftsfähig ist.

Mit einem klaren Appell schloss die Schulleitung ihre Rede: Verantwortung sei keine Bürde, sondern eine Chance. Eine Schule, die junge Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit stärkt, sie in Beziehung führt und zum Gestalten ermutigt, sei ein Ort wahrer Bildung – und genau das wolle das EBK sein. Im Anschluss an die zentrale Veranstaltung hatten alle Bildungsgänge Gelegenheit, sich in kleineren Runden vertieft mit den konkreten Implikationen der LernVision auseinanderzusetzen.

Mit dem heutigen Tag hat das Erzbischöfliche Berufskolleg Köln einen mutigen Schritt in Richtung Zukunft gemacht – einen Schritt, der Lernen nicht als Pflichterfüllung, sondern als gemeinsames Wachsen versteht. Die LernVision EBK ist mehr als ein pädagogisches Konzept. Sie ist ein Versprechen.

Die Schulleitung verkündet geschlossen der Schülerschaft, welche Wege im neuen Schuljahr gegangen werden.

Kathrin Wichmann (stellvertretende Schulleiterin) erläutert den Schüler/innen und Studierenden, dass Lernen als dialogischer Prozess verstanden wird, der auf drei Ebenen wirkt: im Ich, im Du und im Wir.



Auftakt zu den dreitägigen Konzeptionstagen: „Verantwortetes Lernen“ und die Rolle der Lehrkräfte im Zentrum

Am 07.07.2025 durfte das Erzbischöfliche Berufskolleg Köln einen Gast aus der Wissenschaft begrüßen. Der Vortrag von Prof. Dr. Thomas Mikhail im Rahmen der dreitägigen Konzeptionstageam EBK markierte einen zentralen Impuls für das schulische Selbstverständnis in einer Zeit, in der Bildung nicht länger bloße Stoffvermittlung ist, sondern zur Kulturveränderung aufruft. Mikhail skizzierte eindrucksvoll, wie sich die Rolle von Lehrkräften im Zeitalter des „verantworteten Lernens“ wandelt – weg von traditionellen Instruktionsmustern hin zu einer Haltung, die Begleitung statt Belehrung, Zutrauen statt Kontrolle und Ermöglichung statt Steuerung in den Mittelpunkt rückt. Die vielzitierte Forderung nach einer „neuen Lernkultur“ bekam durch seine Worte eine konkrete Gestalt, die sowohl philosophisch fundiert als auch praktisch anschlussfähig ist.

Prof. Dr. Thomas Mikhail von der Universität Erfurt bei seinem Vortrag: „Verantwortetes Lernen und Lernbegleitung. Zur neuen Rolle von Lehrpersonen“.

Ausgangspunkt seiner Argumentation ist der Begriff der Verantwortung – ein Begriff, der, so Mikhail, im Kontext von Lernen besonders voraussetzungsreich ist. Verantwortung entsteht nicht beliebig, sondern erfordert drei zentrale Bedingungen: die Fähigkeit zur Folgenabschätzung, das Wissen um geltende Normen und die Zurechnungsfähigkeit des Handelnden. Diese Bedingungen sind im Kontext des Lernens deshalb so entscheidend, weil Lernen eben kein technischer, steuerbarer oder übertragbarer Prozess ist. Niemand kann für einen anderen lernen. Lernen ist immer individuell, immer subjektiv, immer eigenverantwortlich – ein Akt der Selbstaneignung, vergleichbar mit dem Essen: Auch das lässt sich nicht delegieren. Wer satt sein will, muss selbst essen. Wer lernen will, muss selbst lernen. Und genau hier setzt das Paradox an: Einerseits trägt jeder Mensch – auch jeder Schüler, jede Schülerin – bereits Verantwortung für das eigene Lernen, andererseits ist Lernen selbst eine Suchbewegung, die Fehler, Irrwege und Unsicherheiten braucht, um überhaupt stattfinden zu können.

Daraus leitet sich die zentrale These ab: Verantwortung ist weniger Voraussetzung als vielmehr Ziel des Lernprozesses. Verantwortung ist das, was durch gelungenes Lernen erst entsteht. Daraus ergibt sich für die Schule ein doppelter Auftrag. Sie muss einerseits Lernprozesse ermöglichen, die diesen Eigenbesitz fördern – das heißt: Lernumgebungen schaffen, die Raum geben für Selbstverantwortung, Entscheidung und kreative Aneignung. Andererseits muss sie diesen Prozess professionell begleiten – nicht im Sinne von Kontrolle, sondern im Sinne einer moderierenden, unterstützenden, herausfordernden Begleitung, die Orientierung gibt, ohne die Richtung vorzuschreiben.

In einer eindrücklichen Analogie veranschaulichte Mikhail diesen Unterschied am Beispiel einer Sightseeing-Tour durch Köln: Während eine Reisebegleitung auf Augenhöhe agiert, emotionale Nähe schafft und das Zusammensein zum Selbstzweck macht, übernimmt eine Stadtführung die Aufgabe, Orientierung zu geben, Irrwege zu vermeiden und zielgerichtetes Wissen zu vermitteln. Beide Formen – Begleitung und Führung – haben ihre Berechtigung. Doch im Kontext von Erwachsenenbildung und insbesondere der beruflichen Bildung, wie sie am EBK stattfindet, hat die Lernbegleitung eine besondere Bedeutung. Denn: Die Lernenden am Berufskolleg sind keine Kinder mehr. Sie bringen Lebenserfahrung mit, tragen bereits Verantwortung für sich selbst und sind in der Lage, auch für ihren Lernprozess Verantwortung zu übernehmen. Genau das muss Schule ihnen zutrauen – und ihnen diesen Raum geben.

Lernbegleitung, so Mikhail, bedeutet deshalb vor allem: Vertrauen. Vertrauen in die Fähigkeit und Bereitschaft der Lernenden, sich Inhalte selbstständig zu erschließen. Vertrauen in ihre Urteilskraft, ihre Neugier, ihre Eigenverantwortung. Aber auch: Zurückhaltung seitens der Lehrperson. Nicht in Form von Passivität oder Gleichgültigkeit, sondern als bewusste Entscheidung, Lernprozesse nicht permanent zu steuern, sondern gezielt zu moderieren. Es geht um eine pädagogische Haltung, die sich vom Besserwissen verabschiedet und stattdessen Räume öffnet, in denen Lernen als schöpferischer, ästhetischer und zutiefst persönlicher Prozess möglich wird.

Besonders stark wird diese Perspektive im Blick auf sogenannte praktische Wissensformen – etwa in der Ausbildung von Erzieherinnen und Heilerziehungspflegern. Dort gibt es oft kein eindeutiges „richtig“ oder „falsch“. Was zählt, ist die Fähigkeit, begründet zu handeln – im Wissen um die Einmaligkeit der Situation und die Einzigartigkeit der beteiligten Personen. Genau dafür braucht es eine Lernkultur, die Initiative, Kreativität, Engagement und Eigenverantwortung fördert. Nicht durch Vorgaben, sondern durch Freiräume. Nicht durch Standardisierung, sondern durch Personalisierung. Und nicht durch Belehrung, sondern durch Begleitung.

In einer Zeit, in der Schule sich zunehmend zwischen Kompetenzraster, Outputorientierung und Digitalisierung neu verorten muss, ist Mikhails Beitrag ein Plädoyer für ein pädagogisches Verständnis, das auf Freiheit, Vertrauen und Beziehung setzt. Verantwortung – das macht sein Vortrag deutlich – ist keine bürokratische Kategorie, sondern ein pädagogischer Prozess. Und wer diesen Prozess ernst nimmt, der erkennt: Die Zukunft der Schule entscheidet sich nicht nur an Lernzielen, sondern an der Haltung der Menschen, die Lernwege mitgehen. Lehrkräfte als Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter – das ist kein Etikettenwechsel, sondern eine kulturelle Neuausrichtung. Eine, die am EBK längst begonnen hat.

„Wie können wir bewerten, wenn wir begleiten?“ – Die Diskussion am EBK zur Rolle der Lehrkraft im verantworteten Lernen

Im Anschluss an seinen Vortrag über „Verantwortetes Lernen und Lernbegleitung“ stellte sich Prof. Dr. Thomas Mikhail einer engagierten und tiefgründigen Diskussion mit dem Kollegium des Erzbischöflichen Berufskollegs Köln. Was sich in diesen Wortmeldungen offenbarte, war nicht nur die Auseinandersetzung mit einer neuen pädagogischen Haltung, sondern auch das ernsthafte Ringen um die Vereinbarkeit von Begleitung, Bewertung, Struktur und Verantwortung im schulischen Alltag – insbesondere unter den Bedingungen der Fachschulausbildung.

Eine zentrale Frage beschäftigte viele Kolleginnen und Kollegen: Wie lässt sich das Ideal einer lernbegleitenden Haltung mit der realen Anforderung zur Leistungsbewertung und Benotung vereinbaren? Die Sorge war spürbar, dass die Förderung von Fehlerfreundlichkeit und Eigenverantwortung in Widerspruch zur Notwendigkeit stehen könnte, Noten zu vergeben, Leistungen zu zertifizieren und damit auch die gesellschaftlich geforderte „Allokationsfunktion“ von Schule zu erfüllen. Eine Lehrerin brachte es auf den Punkt: „Ich habe Angst, dass ich am Ende nur noch ein Stempelchen setze.“ Ein anderer Kollege stellte infrage, ob man Begleitung überhaupt bewerten könne – eine Stadtführung, so sein Vergleich, werde schließlich auch nicht benotet. Die Spannung zwischen pädagogischer Idealisierung und schulpraktischem Muss war greifbar.

Prof. Mikhail reagierte auf diese Anfragen mit einem differenzierten Plädoyer für Komplementarität statt Polarisierung. Lernbegleitung und unterrichtliche Führung seien keine Gegensätze, sondern zwei Seiten eines pädagogischen Handelns, das situativ entscheidet, wann Impulse, Orientierung und Expertentum gefragt sind – und wann es gilt, sich zurückzunehmen, Freiraum zu lassen, Vertrauen zu schenken. Die Notwendigkeit der Benotung – das räumte er offen ein – lasse sich gegenwärtig nicht einfach aushebeln. Sie sei Teil eines Systems, das sich erst schrittweise und mit Augenmaß in Richtung neuer pädagogischer Kulturen bewegen könne. Reflexionsgespräche, formative Rückmeldungen oder phasenbezogene Leistungsbeobachtungen wurden als mögliche Bausteine genannt, um zumindest bewertungsarme Räume innerhalb eines weiterhin bestehenden Systems zu eröffnen.

Ein weiterer Aspekt, der intensiv diskutiert wurde, war das Verhältnis von Wissen und Macht im Klassenzimmer. Lehrpersonen haben einen Wissensvorsprung – das wurde nicht bestritten. Doch wie damit umgehen? Mikhail betonte, dass es entscheidend sei, wie dieser Vorsprung sichtbar werde: als Einladung zum Dialog oder als Demonstration von Überlegenheit. Macht, so seine Position, dürfe nicht aus der Position, sondern müsse aus dem besseren Argument erwachsen. Eine Kollegin forderte dazu auf, Machtverhältnisse offen zu reflektieren, da auch Selbstunterwerfungsmuster auf Seiten der Lernenden ein Teil des pädagogischen Raumes seien. Es sei nicht damit getan, nur dialogisch aufzutreten – es müsse auch erfahrbar gemacht werden, dass sich tatsächlich etwas am Machtverhältnis ändert.

Ebenso wurde intensiv über die Rolle der Lehrperson als Begleiterin gesprochen. Was bedeutet Begleitung konkret, wenn man selbst „die Stadt kennt“, also Experte oder Expertin im Fach ist? Muss man dann nicht auch hin und wieder deutlich sagen, wo es langgeht? Mikhail zeigte sich anschlussfähig und betonte, dass es gerade nicht um ein Entweder-oder gehe, sondern um eine kluge Ausbalancierung. Lernbegleitung bedeute nicht, sich aus allem zurückzuziehen oder Fehler sehenden Auges zuzulassen, sondern vielmehr: Raum zu eröffnen, Interesse zu zeigen, erreichbar zu sein – ohne sich aufzudrängen. Eine Haltung des Vertrauens und der Zurückhaltung sei kein Mangel an Professionalität, sondern Ausdruck tiefen pädagogischen Respekts.

Ein weiterer Diskussionsstrang widmete sich der Frage, wie individuelle Begleitung unter den realen Bedingungen einer großen Gruppe möglich sei – insbesondere in heterogenen Lerngruppen, in denen Studierende mit unterschiedlichsten biografischen Hintergründen, Vorerfahrungen und Leistungsständen zusammenkommen. Auch hier wurde deutlich: Der Anspruch an Individualisierung ist hoch, aber er ist nicht unbegrenzt erfüllbar. Mikhail sprach offen von Grenzen – nicht als Ausrede, sondern als Anerkennung der Realität. Aber auch hier gelte: Individualisierung beginne nicht erst bei der 1:1-Betreuung, sondern bereits in der Haltung, mit der man auf Lernende zugeht – oder sie auf sich zukommen lässt.

Schließlich wurde auch das Spannungsverhältnis zwischen strukturierten Bildungsgängen mit klaren Abschlusszielen (etwa in der Erzieher/innenausbildung) und der Idee des offenen Lernraums thematisiert. Die berechtigte Sorge, Studierende könnten wesentliche Inhalte verpassen, wurde von mehreren Kolleginnen geteilt. Mikhail empfahl hier, nicht mit Maximalforderungen zu starten, sondern Schritt für Schritt Freiräume zu eröffnen – etwa durch anteilige freie Lernphasen, wie sie etwa an Dortmunder Modellschulen erprobt wurden. In solchen Phasen könne sich Lernverantwortung entwickeln, ohne dass die Struktur des Bildungsgangs verloren gehe.

Was aus dieser Diskussion bleibt, ist nicht der Eindruck eines einfachen „Fahrplans“, sondern der Beginn eines Reflexionsprozesses, der das Kollegium tief erfasst hat. Die Fragen waren nicht rhetorisch, sie waren echt. Sie kamen aus einem Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Lernenden, gegenüber der Gesellschaft, gegenüber dem eigenen pädagogischen Ethos. Und vielleicht ist genau das der entscheidende Ausgangspunkt für das, was Mikhail „eine neue Lernkultur“ nennt: Eine Kultur, die sich nicht auf Polarisierungen einlässt, sondern auf die Suche nach einem pädagogischen Gleichgewicht zwischen Führung und Freiheit, zwischen Bewertung und Vertrauen, zwischen Wissen und Beziehung. Das EBK hat an diesem Tag damit begonnen, diese Suche gemeinsam zu gestalten. Und das allein ist bereits ein Lernprozess – im besten Sinne.

Die ausführliche Fragerunde nach dem Vortrag eröffnete für alle noch einmal die neuen Perspektiven des „verantwortetes Lernens“.

(v.l.n.r.) Carsten Arntz (Schulleiter), Prof. Dr. Thomas Mikhail (Universität Erfurt), Prof. Dr. Michael Obermaier (Katholische Hochschule Köln), Kathrin Wichmann (stellvertretende Schulleiterin) vor dem Graphic Recording der LernVision EBK.



Neues Lernen wagen – Die Konzeptionstage als Meilenstein der LernVision EBK

Am Erzbischöflichen Berufskolleg Köln ist im Zeitraum vom 07.–09.07.2025 etwas in Bewegung geraten, das mehr ist als ein Schulentwicklungsprozess – es ist ein kultureller Aufbruch in eine neue Haltung gegenüber dem Lernen, dem Lehren und dem gemeinsamen Wirken als Schulgemeinschaft. Die dreitägigen Konzeptionstage am Schuljahresende markieren dabei keinen Endpunkt, sondern vielmehr einen eindrücklichen Zwischenschritt auf einem Weg, den das Kollegium bereits im Herbst mit dem Visionstag begonnen hatte – und der mit dem inspirierenden Vortrag von Professor Thomas Mikhail zum verantworteten Lernen eine tiefere Verankerung erfahren hat. Es ist eine Bewegung, die gleichermaßen strukturelle Innovation und pädagogische Haltung miteinander verschränkt und die am EBK inzwischen an vielen Stellen des Schulalltags sichtbar wird.

Verantwortetes Lernen – das bedeutet am EBK nicht einfach ein weiteres pädagogisches Schlagwort, sondern eine neue Form schulischer Selbstvergewisserung: Lernen soll künftig als dialogischer Prozess verstanden und gestaltet werden – getragen von gegenseitiger Verantwortung zwischen Lernenden und Lehrenden. In der Praxis heißt das: Schülerinnen, Schüler und Studierende übernehmen mehr Verantwortung für ihren eigenen Lernweg, sie reflektieren, planen und dokumentieren ihre Entwicklung über Logbücher, orientieren sich an Kann-Listen und arbeiten zunehmend in flexiblen Settings, unterstützt durch gemeinsame Moodlekurse. Gleichzeitig verändert sich die Rolle der Lehrkräfte grundlegend: Sie treten weniger als Wissensvermittler und mehr als Begleiter, Impulsgeber und Mitgestalter auf – mit einer klaren Haltung der dialogischen Führung, die gleichermaßen fordert, unterstützt und Freiräume eröffnet. Das Ziel ist klar: Mehr Selbstwirksamkeit, mehr Sinnbezug, mehr Zukunftsfähigkeit.

Diese Haltung ist nicht verordnet, sie ist erarbeitet – und genau das wurde während der Konzeptionstage spürbar. In über 40 Arbeitsgruppen, Tandems und Bildungsgangteams wurde nicht nur konzipiert, sondern leidenschaftlich gerungen: um gute Lernaufgaben, um echte Handlungssituationen, um sinnvolle Zeitstrukturen, um tragfähige Evaluation. Der neue Stundenplan bildet das bereits ab: Zeitfenster für projektorientiertes Lernen, parallel geführte Leistungskurse zur Ermöglichung von Kooperation, offene Räume und schrittweise eingerichtete Lernzonen, in denen Eigenverantwortung nicht nur erwartet, sondern unterstützt wird. Auch die Idee eines MakerSpace – als zukünftiger Raum für kreatives, praxisnahes, technologiegestütztes Lernen – zeigt: Das EBK denkt Lernen nicht mehr als linearen Wissenstransfer, sondern als gesellschaftlich wirksame Handlung in einem vernetzten Raum.

Nicht zuletzt war in diesen Tagen spürbar, dass Schulentwicklung nicht allein durch Steuergruppen entsteht, sondern durch ein kollektives In-Beziehung-Treten. Viele Entwicklungen geschahen leise – zwischen Tür und Angel, in Gesprächen unter Kolleg/innen, in der Bereitschaft, neue Wege nicht nur mitzudenken, sondern auszuprobieren. Genau hier liegt der Zauber dieser Konzeptionstage: Sie schufen einen Möglichkeitsraum, in dem Schulentwicklung nicht als Belastung, sondern als gemeinsamer Anspruch verstanden wurde. Ein Kollegium, das sich trotz der bekannten Herausforderungen – Fachkräftemangel, Prüfungsdruck, Pandemie-Erfahrungen – nicht entmutigen lässt, sondern mit Haltung und Überzeugung an einer Schule arbeitet, die mehr sein will als ein Ort der Prüfungsvorbereitung.

Am Ende dieser drei intensiven Tage, die in eine feierliche Würdigung all dessen übergingen, was im zurückliegenden Schuljahr gemeinsam geschaffen, gewagt und bewegt wurde, richteten Schulleiter Arntz und Stellvertreterin Wichmann das Wort an die Versammelten – in einer kurzen, doch eindrucksvollen Ansprache, die das Erreichte ins Licht rückte und zugleich den Blick nach vorn öffnete.: „Was wir hier tun, ist kein Projekt mit Enddatum. Es ist eine Transformation.“ Und in eben dieser Transformation liegt der tiefere Sinn der LernVision EBK – nicht als abstrakte Reformidee, sondern als konkret gelebte Schulkultur, die junge Menschen dazu befähigen will, Verantwortung zu übernehmen – für sich, für andere und für eine demokratische, zukunftsfähige Gesellschaft.

Was bleibt, ist der Eindruck eines Anfangs. Nicht alles ist schon fertig, aber vieles ist angestoßen. Und es ist genau dieses geteilte Bewusstsein, das in der Atmosphäre der Konzeptionstage greifbar wurde: dass Veränderung nicht von oben verordnet wird, sondern in der gemeinsamen Arbeit wächst – aus der Mitte der Schule heraus. Die LernVision EBK hat ein Gesicht bekommen. Jetzt bekommt sie ab dem neuen Schuljahr ein Leben.

  • Text:Carsten Arntz
  • Titelbild & Artikelfotos:Carsten Arntz, Greger Hennecke
  • Fotos (Bilderreihe):Carsten Arntz, Reinhold Horz